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von Veronika Albers

„Sie würden von einem Beinamputierten auch nicht verlangen Tango zu tanzen“
Was hat eine taube Nuß und ein Mann mit einem abben (fehlenden) Bein gemeinsam

Bei einem Seminar für die Arbeit mit Hörgeschädigten, sprachen wir über Kommunikation der Hörgeschädigten. Wie alle Fachleute wissen, ist Hörbehinderung in erster Linie eine Kommunikationsbehinderung. Aus diesem Grunde vertrat eine Teilnehmerin die Ansicht, dass mit Hörbehinderten in einfachen Sätzen gesprochen werden muß, um eine Kommunikation zu gewährleisten. Ich hielt dagegen, warum Hörbehinderten ein Teil der Kommunikation vorenthalten werden sollte. Im Laufe der Diskussion machte die Teilnehmerin die Bemerkung: „Sie würden von jemanden, der nur ein Bein hat, auch nicht verlangen, daß er Tango tanzt.“ Ich erwiderte: „Mein Lebensgefährte ist beinamputiert und er tanzt.“

Diese Szene hat mich tagelang nicht nur amüsiert sondern auch beschäftigt und führte zu ausgiebigen Gesprächen mit meinem Partner. Wir beide kamen zu dem Ergebnis, dass es immer eine Einstellungssache zu der Behinderung ist, die uns veranlaßt in bestimmter Weise mit ihr zu leben. Ich kann die Behinderung als Schicksal sehen, dem ich mich füge somit mache ich mir das Leben so einfach wie möglich. Ich akzeptiere alles so wie es ist. Dies bedeutet aber auch, dass ich Möglichkeiten die ich habe, nicht wahrnehme. Ich kann die Behinderung aber auch als eine Herausforderung sehen, der ich mich stelle. Dies ist allerdings mühevoller, aber am Ende steht die Belohnung für mich neue Möglichkeiten gefunden zu haben. Diese unterschiedliche Einstellung ist auf das ganze Leben eines jeden übertragbar.

Die oben beschriebene Szene implizierte ein Vergleich zwischen Hör- und Gehbehinderung. Am besten läßt sich dies darstellen durch die Hilfsmittel die benötigt werden. Als Beinamputierter habe ich die Möglichkeiten mich mit Hilfe des Rollstuhls oder der Beinprothese zu bewegen. Als Hörgeschädigter habe ich die Möglichkeiten mit Hilfe der Gebärdensprache oder der Hörprothese zu kommunizieren. Ja, ja ich höre schon die Einwände, so einfach sind diese Entscheidungen nicht. Es gibt Fälle, da kann eine Prothese nicht angewendet werden. Sicher stimmt das, aber es sind die wenigstens Fälle und ich glaube, dass aus unterschiedlichen Motiven, Prothesen, sowohl für hören als auch gehen nicht benutzt werden. Ein Grund ist, dass der Rollstuhl und die Gebärdensprache ihren Vorteil haben. Sie sind einfacher zu handhaben. Mit ihnen geht (fast) alles schneller. Mit dem Rollstuhl kann ich schneller fahren, wenn ich geübt bin, schneller als es den meisten Fußgängern möglich ist. Diesen Vorteil hat auch die Gebärdensprache. Mit ihr kann ich sehr schnell kommunizieren, wenn ich DGS (Deutsche GebärdenSprache) beherrsche. Dies übt eine gewisse Faszination bei dem Zuschauer aus. Was ich dabei nicht verstehe, dass die Gebärdensprache  verherrlicht wird, denn schließlich würde keiner den Rollstuhl verherrlichen. Realistisch gesehen, hat beides seine Grenzen. Mit dem Rollstuhl werden ich keine Treppen hochfahren können. Mit der Gebärdensprache werden ich nicht mit jedem kommunizieren können, weil mein Gesprächspartner auch DGS können muß.

Was ist nun mit Prothesen? Sie sind sehr viel schwerer zu handhaben. Vielleicht haben sie die Vorstellung, wenn Sie ein Bein verlieren, brauchen Sie nur eine Prothese, um wieder laufen zu können.

Mein Partner hatte diese Vorstellung nachdem er aufgrund einer Medikamentenallergie sein rechtes Bein verlor. Er wurde sehr schnell eines Besseren belehrt. In einer Rehaklinik bekam er eine Prothese angepaßt. Mit Mühe konnte er stehen, von gehen war nicht die Rede. Mühsam mußte er erst lernen mit Krücken zu stehen und zu laufen. Dies bedeutete wochenlanges üben unter fachlicher Anleitung von Physiotherapeuten.  Die Prothese mußte außerdem immer wieder  eingestellt werden. Sicher war dies ein nicht einfacher und zumindest teils auch mit Schmerzen verbundener Weg für ihn, doch am Ende wartete eine große Belohnung: Fortbewegung mittels laufen, ohne Rollstuhl und ohne Krücken.  Der Weg bis dahin war voller Rückschläge und erforderte ständige Ermutigung und  konsequentes Handeln. Der Arzt meines Lebensgefährten, der selbst amputiert ist, gab ihm dies. Als mein Partner einmal äußerte, er könnte sich nicht vorstellen einmal ohne Krücken zu gehen, nahm er sie ihm weg und ließ ihn einfach stehen. Mein Partner war gezwungen zu laufen, ob er wollte oder nicht. Noch heute lernt er nicht aus, seine nächste Übung ist das Fahrrad fahren.

Seine Erzählungen ließen mich erkennen, dass hören bzw. verstehen lernen mit Hörhilfen, sehr viele Parallelen hat. Dies weiß ich nicht nur, weil ich selbst von Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig bin, sondern auch weil ich in einer Rehaklinik für Hörgeschädigte als Audiotherapeutin gearbeitet habe. Dort bekamen die Patienten Hörtraining, Absehtraining und lernten Hör- und Kommunikationstaktik. Immer wieder mußten Hörgeräte und Cochlear Implantate neu eingestellt werden, weil eine schrittweise Eingewöhnung notwendig ist und   jeder Mensch individuell hört. Für viele Hörgeschädigte sind die ersten Höreindrücke schmerzhaft. Ich weiß noch, als ich mein CI bekam und ich am ersten Tag Regen auf die Blätter fallen hörte. Es hörte sich an wie klappernde Schuhe in einer Halle. Trotz mehrerer Hörstürze fiel mir die Entscheidung für ein CI nicht leicht. Als der Entschluß feststand freute ich mich über die vielen neuen Höreindrücke, auch wenn anfangs alles nur ein Geräuschbrei war. Deswegen schaltete ich das CI auch nicht aus, als ich diese „Schuhe“ bzw. den Regen hörte, sondern setzte mich dem bewußt aus. Heute genieße ich das Geräusch des Regens der auf Blätter fällt. Auch wurden Gespräche wesentlich entspannter für mich. Natürlich gibt es auch heute noch Situationen, wo ich weiterhin verstärkt auf das Mund absehen angewiesen bin.

Um das zu können und um lautsprachlich zu kommunizieren, haben meine Eltern, meine Geschwister und entsprechendes Fachpersonal hart mit mir trainiert.

1962 war es noch nicht üblich ein Kind mit meinem Hörstatus lautsprachlich zu erziehen. Nur aufgrund des Ehrgeizes meiner Eltern, die mich mit drei Jahren mit Hörgeräten versorgten und früh förderten, ist mir eine lautsprachliche Kommunikation immer möglich gewesen. Ich bin Ihnen heute sehr dankbar dafür, auch wenn es teilweise harte Konsequenzen bzw. Schmerzen erforderte (Unterricht nach der Schule, während meine 5 Geschwister spielen konnten; anschließend Trennung von meiner Familie um eine entsprechende Schule besuchen zu können, hartes Training). Dadurch, dass ich die Behinderung als Herausforderung sehe, werde ich belohnt. Diese Belohnung ist vergleichbar mit der, die mein Freund erhält. Ihm ist es möglich Treppen zu steigen, wenn auch möglichst mit Geländer oder einer helfenden Hand. Mir ist es möglich mit jedem zu kommunizieren, wenn auch teilweise mit Zusatztechnik oder einer helfenden Wiederholung des Gesagten.

Mir ist bewußt dass ein unterschiedlicher Status der Behinderung eine unterschiedliche Versorgung notwendig macht. Aber ich habe es immer wieder erlebt und erlebe es während meiner Arbeit heute noch, dass viele ihre Möglichkeiten aufgrund von Unkenntnis und leider auch aufgrund von Bequemlichkeit nicht ausschöpfen.
Ich denke, jeder behinderte Mensch bzw. die Eltern eines behinderten Menschen haben die Möglichkeit sich zu entscheiden, ob  die Behinderung  Schicksal oder  Herausforderung ist.


Mein verstorbener Partner und ich hatten uns entschieden zu tanzen und für diesen Tanz bin ich ihm sehr dankbar.

Veronika Albers
Audiothereapeutin, Dipl. Sozialarbeiterin
In Cooperation mit Stefan Liebaug (Lebensgefährte + Vertriebsmanager)